geplante Ausgabe fair 01/2024
UTOPIEN versus DYSTOPIEN in Kunst und Architektur
UTOPIEN VERSUS DYSTOPIEN
Am Beginn der Moderne – Ende des 19. Jahrhunderts, am Beginn des 20. Jahrhunderts – entstanden eine Vielzahl an gesellschaftlichen und politischen Utopien, die aber durch die beiden Weltkriege ad absurdum geführt wurden.
Nach 1945 versuchte man an die modernen Utopien des frühen 20. Jahrhunderts wieder anzuschließen – gesellschaftlich, politisch und kulturell. Nach dem Schock des 2. Weltkriegs wurde die Menschenrechtscharta 1948 verabschiedet. Sie stellte den Willen zu einem neuen Fundament für die Zivilisation dar und war gleichzeitig eine realpolitische Utopie.
Mit dem Mauerfall 1989 ging die Utopie des real existenten Sozialismus zu Ende.
Der westliche Kapitalismus blieb als einzige realpolitische Form in Europa übrig und hat Europa und die Welt im Gesamten bis dato global geprägt.
Aktuell sind wir schmerzlich an die Grenzen des globalen Kapitalismus gestoßen und sind mit neuen weltweiten Armutsentwicklungen, Klimafragen und Flüchtlingsstr.men konfrontiert.
Wie wir weiterleben können, diese Frage stellt sich anhand der globalen Promblematiken akuter den je – Klimapolitik, Erderwärmung und globale soziale wie politische Krisen stehen im Mittelpunkt.
Paul Virilio spricht in seinen Büchern „Der Futurismus des Augenblicks“ und „Panische Stadt“ von der Entwicklung „dystopischer Ultrastädte“, die zu transitorischen Unorten werden und von der „metapolitischen Blase“ der Globalisierung, die eine Unzahl von kritischen Räumen freisetzt und so „die Hyperfragilität des technischen Fortschritts deutlich macht“. 1)
Bruno Latour2) äußerte schon 2004 Bedenken hinsichtlich der Wirkung und Angemessenheit von sozialkonstruktivistischer Kritik. In diesem Zusammenhang warf er die Frage auf, ob die Gefahr heute womöglich nicht mehr von ideologischen Argumenten drohe, die als Tatsachen verkleidet seien, sondern umgekehrt von einem „exzessiven Misstrauen“ gegenüber Tatsachen, die zu Unrecht für ideologische Argumente gehalten würden.
Eine Beschreibung des Anthropozäns ist an die Stelle der Utopie getreten. Die fortschreitende globale Klimaveränderung mit Phänomenen wie Erderwärmung und Klimakatastrophen sowie auch die globalen politischen Krisen haben unsere Sicht auf die Gegenwart und Zukunft verändert.
Heute ist die Vermeidung einer Dystopie an die Stelle der Utopien getreten.3)
Die friday for future Bewegung ist nicht mehr durch eine Utopie geeint, sondern ihre grundlegende Motivation ist die Vermeidung der Dystopie der weltweiten Klimakrise.
1) Paul Virilio, Panische Stadt, Passagen Verlag Wien, 2007, S. 99.
2) Bruno Latour: Why Has Critique Run out of Steam? From Matters of Fact to Matters of Concern, PDF. In: Critical Inquiry.
Vol. 30, No. 2 (2004), S. 225–248. Kampf um Gaia. Acht Vorträge über das neue Klimaregime. Aus dem Französischen von Achim Russer, Bernd Schwibs. Suhrkamp, Berlin 2017.
3) Sven Titz: Ausrufung des Anthropozäns: Ein gut gemeinter Mahnruf. In: Neue Zürcher Zeitung vom 4. November 2016.
INHALT
Die Entwicklungen von Utopien und Dystopien in der Kunst und Architektur seit den 1960er-Jahren bis heute werden aus kunstgeschichtlicher und gesellschaftskritischer Perspektive untersucht, national wie international.
Parallel werden aktuelle Tendenzen beleuchtet und KünstlerInnen-Positionen vorgestellt, die sich intensiv mit utopischen und dystopischen Thematiken beschäftigen.
EINLEITENDE ESSAYS
- Utopien als Motor der Moderne in der Gesellschaft und in der Kunst / Wolf Guenter Thiel
- Bruno Latours „terrestrisches Manifest“ / eine kritische Betrachtung der Begrifflichkeiten
- Paul Virilio / dystopische Entwicklungen in der Gesellschaft und den Megacities ein Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Passagen Verlag Wien
DIE 1960er JAHRE ALS UTOPISCHER AUFBRUCH IN KUNST UND ARCHITEKTUR
- utopische Konzepte in der Kunst der 1960er Jahre / Fluxus Bewegung und Zero-Bewegung
- Joseph Beuys / eine neue Gesellschaftsidee und ein neues Naturverständniss
- Aufbruch in der Architektur: Archigram, Coop Himmelblau, Zünd-up, Haus-Rucker-Co, Grazer Schule
AKTIONISMUS UND AKTIVISMUS
- Kunst als Maschine zur Generierung persönlicher Utopien
- Urban Garden bis zu Extinction Rebellion / KünstlerInnen werden zu AktivistInnen
- künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum
DYSTOPIEN IN DER AKTUELLEN KUNST UND IN DER GESELLSCHAFT
- dystopische Bilderwelten in der aktuellen Kunst
- das Werk von Anne Imhof (Biennale Venedig, 2017 / Palais de Tokyo, 2021)
- Migrationsbewegungen als Utopie und erlebte Dystopie in unserer Zivilisation
ARCHITEKTUR
- Gartenstädte und Selbstversorgergärten: Siedlungsentwürfe von Adolf Loos, Theodor Fischer, Roland Rainer bis heute / Konzepte von Leberecht Migge
- Carl Pruscha / seine Bauten in Nepal als Beispiel für die Verbindung von Bauwerk, Tradition und Natur
September 2023
CONFERENCE ON FUTURE VIEWS
by artists, researchers and activists
Old School Institute for Contemporary Arts (OSICA)
Schulstraße 3, 39539 Havelberg, Sachsen-Anhalt
Die zweite Ausgabe der UTOPIENALE fand in der Old School in Havelberg vom 8.-10. September 2023 statt. Zehn junge Künstler*innen, Autor*innen und Aktivist*innen stellten ihre Sicht auf die Zukunft vor. Sie taten dies anhand ihrer künstlerischen Arbeit, anhand von Vorträgen und indem sie ihre Arbeit präsentierten.
Sie leben und arbeiten als „Young Urban Professionals“ erfolgreich in Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft in Deutschland und bereichern das Land. Sie tragen wesentlich zum internationalen Renommee des Landes bei. Ihre Sicht auf die Zukunft ist von besonderer Bedeutung für uns und unsere gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung und wird generell immer noch stark unterschätzt. Ziel der Konferenz war es, etwas über die Zukunft von Kultur und Forschung im Rahmen heutiger und zukünftiger Zivilgesellschaften zu erfahren.
Die Präsentationen der Teilnehmer*innen wurde begleitet von Azby Brown, einem bekannten amerikanischen Aktivisten, Künstler und Zukunftswissenschaftler, der seit Jahrzehnten in Japan forscht und arbeitet; von Gerald Walter, der führend in der Genomforschung arbeitete und heute in Leipzig als Aktivist für Gesundheitsthemen und insbesondere gesunde Ernährung kämpft und von Takwe Kaenders, die als Künstlerin und Aktivistin in Rothen in Mecklenburg Vorpommern ein kollektives Ausstellungs- und Werkstatthaus betreibt und damit im ländlichen Raum wesentliche kulturelle Impulse setzt.
Arezoo Dorali (IRN / Berlin) – Menschenrechtsanwältin aus Teheran sprach über Menschenrechte
Lado Khartishvili (GEO / Halle) – Bildender Künstler präsentierte Artistic Group „Bouillon“
Mariko Sugita (JPN / Tokio) – Urbanistin und Künstlerin präsentierte www.forcities.org
Abhijit Sinha (IND / Paris) – Aktivist stellte Bildungsprojekte/„Nooks“ vor https://projectdefy.org/
Rafael Freitas (BRA / Leipzig) – stellte seine Zukunftsvision der indigenen Kulturen in Brasilien vor
Dzhemile Umerova (UKR / Magdeburg)– Vorstellung der Krim-tatarische Kultur und Vision einer freien Krim
Pavlo Tkachenko (UKR / Dnipro) – „SaveDnipro und SaveEcoBot“ https://www.saveecobot.com
Svitlana Kudrina (UKR / Magdeburg) – die Filmemacherin zeigte Filme und sprach über den Krieg
Dana László da Costa (BRA / Halle) – präsentierte ihre Kunst im Kontext eines globalen Kulturteppichs
Saori Ogura (JPN / Tokio) – zeigte den Film „Samen unserer Vorfahren“. https://saoriogura.info